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Album des Monats - April 06   von Alexander Schmitz

       agas-agentur:gitarre/alexander schmitz        

Jazz Podium Mai 2006                                                Giorgio Crobus erste CD - ein Wunder-Werk        

Dreißig Jahre für die Vollkommenheit

Er passt nicht in das Klischee vom mediterranen Heißsporn, nicht in die typische Vorstellung von dem Mann aus dem Land, das die Deutschen seit Vater und Sohn Goethe immer noch mit der Seele suchen, mit ausladenden Gesten, lauter Rede und der Feuerköpfigkeit, die uns hier oben ach so fremd und deshalb so lieb ist. Er ist kein Draufgänger, kein Bruder Leichtfuß, er ist das alles nicht, was man sich landläufig so zusammenphantasiert. Giorgio Crobu, Jahrgang ‘59, ist der, auf den der schöne Ausspruch Remy de Gourmonts wie angegossen passt: Le style c’est homme - der Stil macht den Mann.

Nun ruft er an und sagt, erinnerst Du Dich noch an unser Treffen vor vielen Jahren? In Berlin war das, im Westen der Stadt, in dem Giorgio seit 1983 lebt und hauptsächlich tätig ist, ein eher mit Worten sparsamer, hochsensibler Gentleman. Ich habe jetzt eine eigene Homepage, ja, und auch eine eigene CD. Als ich ihn vor etwa zwölf Jahren erstmals hörte, ich glaube, es war im Berliner Musikinstrumenten-Museum, da war ebendieser Eindruck auf ersten Blick voll gegenwärtig: Das ist mein kultivierter Mann, der hat Stil. Er hat Geschmack. Damals, beim ersten Hören, war er in Bezug auf seine Musik schon vor allem ein ganz besonderer Wes-Montgomery-Wiedererwecker, eben kein One-to-One-Kopist, kein Eklektiker aus Mangel an eigener Substanz. Was er da spielte, war nicht einfach “sein” Wes; es war eine außergewöhnlich intelligente, niveauvolle Auseinandersetzung mit dem Material, ein Dialog, der unüberhörbar reich an Synthesen war. Sein Spiel war genau, äußerst präzise und von ungewöhnlichem Reichtum und ungewöhnlicher Wärme. Und natürlich dachte ich, ach herrje, er hat gar keine Platte gemacht bisher. Wenn er doch nur eine machen würde.

Ein Dutzend Jahre weiter ist es so weit. “Abarossa” heißt das Werk [jb-records 1008] Und dass Giorgio sich so lange damit Zeit gelassen hat, verweist natürlich nicht auf Entscheidungsgeschwächel oder bei sich selbst vermutetes Unvermögen. Es verweist auf größte Sorgfalt, auf die Fähigkeit zur klugen, besonnenen Selbsteinschätzung, die ihn warten ließ. Vielleicht meinte er, sei die Zeit, sei er noch nicht reif.

Der Stil, der war längst da. Aber das Material - vielleicht ging es darum. Vielleicht musste er noch ein bisschen mehr Wes abwerfen, wie eine Haut, um sich selbst noch näher zu kommen. Wer so lange warten kann, der weiß, warum er’s tut.

Bill Evans. Ja, man kann leicht an Bill Evans denken, wenn man Giorgios Platte hört. Es ist, als wären die beiden aus dem gleichen Holz, gleichen Geistes Kinder. Weit mehr Bill Evans als Jim Hall, obwohl auch Hall und Evans allerhand verbindet, wie man weiß.

Es ist der Anschlag, es sind die slurs, was die Wes-Prägung heute hauptsächlich ausmacht bei Giorgio. Das ist geblieben nach der Häutung. Aber wie er Akkorde aufbricht und mit Melodielinien, mit seinen außergewöhnlich schönen, innovativen Improvisationen  verflicht, das ist ganz und gar Giorgio. Alles ist sanft, geschmackvoll und dabei von größter emotionaler Kraft und Unmittelbarkeit. Und dann sind da aus Dänemark der Bassist Jimmi Roger Pedersen, der mit der gleichen Sensibilität zu Werke geht und “nicht mehr als nötig” spielt; und der Neapolitaner Salvatore Tranchini an einem Schlagzeug, das so dezent, so delikat - und oft mit Besen - selten in dieser Art von Trio-Setting gespielt wird.

Das Resultat bestätigt aufs Neue die Richtigkeit des Picasso-Satzes, Kunst sei,wenn nichts mehr hinzugefügt und nichts mehr weggenommen werden könne. Diese acht Stücke - sechs aus Crobus Feder plus “Naima” und “For Heaven’s Sake” - sind von einer Vollkommenheit, wie man sie ganz selten erlebt, vollkommen in der Einheit von Form und Gehalt, vollkommen in Bezug auf den Rapport unter den dreien, vollkommen in der Mischung der Temperamente dieser Stücke.

Das ist also nichts weniger als eine 30-Jahres-Bilanz, die Zwischenbilanz eines Lebens für die Jazzgitarre, das den Jungen aus Oristano in der geliebten Trio-Besetzung erst quer durch Italien und dann quer durch Europa bringt. 1983 lässt er sich, er ist 24, in Berlin nieder, wo er auch heute noch lebt - mit Ausnahme der Jahre 1986-87, in denen er in England weilt, wo er ebenfalls (und vorzugsweise in Trio-Besetzung) aktiv ist.

Er wirkt auf diversen Platten mit, etwa mit Harry “Sweets” Edison, Kara Johnstadt, Plas Johnson und Lito Tabora..

 Er spielt   mit Buddy Tate, mit Al Grey, Buddy de Franco, Bob Minzer, Benny Bailey, Eddie Gomez, Danny Moss und und und...

Von Berlin aus streckt er die Fühler nach überall in Europa und anderswo aus, tourt zwischen Skandinavien und seinem Heimatland, spielt auf Festivals - Jazz in the Garden in Berlin, in Kempten, in Dresden und auf Sardinien - und reist Ende der Achtziger mit Joe Pass und Rhythmusgruppe im Quartett. Im Millenniumsjahr beginnt er in verschiedenen Projekten der Mailänder “Scala” mitzuwirken. Er unterrichtet in Workshops in ganz Europa und, seit 1993, im Fach Jazzgitarre an der renommierten Musikhochschule Hanns Eisler in Ost-Berlin.

Le style c’est homme. Aber nicht nur. Giorgio Crobus musikalische Sprache bringt etwas ganz Neues in die Vielfalt der Jazzgitarre-Sprachen hinein. Es ist etwas, dem sich jede, jede Kritik beugen muss. Der lange Weg zu seiner eigenen Platte hat sich wahrlich gelohnt.

Sie ist ein ganz besonderes Geschenk.